Fr. Nov 15th, 2024
Ein weiterer Prozess um den Tod eines Vierjährigen in Hanau vor mehr als 35 Jahren geht zu Ende. Die Staatsanwaltschaft fordert für die Angeklagte, eine mutmaßliche Sektenführerin, lebenslange Haft wegen Mordes.

Ein weiterer Prozess um den Tod eines Vierjährigen in Hanau vor mehr als 35 Jahren geht zu Ende. Die Staatsanwaltschaft fordert für die Angeklagte, eine mutmaßliche Sektenführerin, lebenslange Haft wegen Mordes.

Vor dem Landgericht Frankfurt wird an diesem Mittwoch das Urteil im Mordprozess gegen eine heute 76 Jahre alte mutmaßliche Sektenführerin erwartet. Der Angeklagten wird vorgeworfen, im Jahr 1988 einen vier Jahre alten Jungen in einen Sack gesteckt zu haben, in dem das Kind erstickte.

Die Frau wurde deswegen bereits vor drei Jahren vom Landgericht Hanau zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch der Bundesgerichtshof ordnete eine neue Verhandlung an, die nun also zu Ende geht.

Staatsanwaltschaft plädiert auf Mord

Auch im neuen Prozess forderte die Anklage in ihrem Plädoyer die Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mordes. Das Motiv der Angeklagten stehe auf sittlich tiefster Stufe, sagte die Frankfurter Staatsanwältin: Sie habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Die Frau sei “unglaublich wütend” auf den damals vierjährigen Jungen gewesen, der für sie “das Böse” symbolisiert und mit dem sie einen Machtkampf geführt habe.

Die Angeklagte soll zum Tatzeitpunkt vor mehr als 35 Jahren eine Sekte angeführt haben, der Junge war der Sohn von Sektenmitgliedern. Laut Staatsanwaltschaft wurde er auf ihre Anweisung hin zum Mittagsschlaf in einen Sack gesteckt, der oben zugeschnürt wurde – so auch am 17. August 1988.

An diesem Tag soll der Junge besonders heftig geschrien und letztlich an einer Kohlenstoffdioxidvergiftung im Sack gestorben sein. Der Notarzt hatte damals notiert, der Junge sei an Erbrochenem erstickt.

Verteidigung fordert Freispruch

Die Verteidigung der mutmaßlichen Sektenführerin plädierte auf Freispruch. Sie sei das Opfer einer Kampagne und öffentlicher Hetze, sagte einer der beiden Anwälte der 76-Jährigen in seinem Plädoyer. Er warf den Ermittlern “blinden Eifer” vor.

Der Ablauf am Todestag des vierjährigen Jungen sei nicht eindeutig geklärt, es gebe widersprüchliche Angaben, hieß es von der Verteidigung. Auch die Todesursache sei nicht mehr bestimmbar. Es sei zudem unklar, ob der Junge an diesem Tag im August 1988 während seines Mittagsschlafs ganz oder nur bis zum Hals in dem Sack gesteckt habe.

Der Staatsanwalt bezeichnete in seiner Entgegnung das Plädoyer als “einfallslos”, zudem seien mehrere Angaben falsch. Die Angeklagte habe den Jungen gehasst, weil dieser sich gegen sie gewehrt habe.

Angeklagte beklagt “Rufmord”

Die Angeklagte sprach in ihrem fast zwei Stunden langen Schlusswort von einem “Rufmord”. Es werde versucht, aus ihr “ein Monster” zu machen, dabei habe sie nichts getan. Der Stoff des Sacks, in dem der Junge gestorben war, sei “dünn und löchrig” gewesen. Er habe nichts mit dem Tod des Kindes zu tun, sondern sei “nur zu seinem Schutz” gewesen.

Die Ausführungen der Angeklagten erinnerten immer wieder an eine Predigt – wie bereits zu Beginn des Prozesses. Häufig war die Rede von “dem Alten”, ihrem Namen für Gott, als dessen Sprachrohr sie sich sieht. Dieser teile ihr seine Botschaften über Träume mit.

Prozess neu aufgerollt

Jahrzehntelang waren die Behörden von einem Unfall ausgegangen, bis Aussagen von Sektenaussteigern im Jahr 2015 ein neues Licht auf den Fall warfen.