Die wichtigsten neuen Ausstellungen: Berlins Kunstwelt ist immer in Bewegung. Was es Neues gibt, was sich weiter lohnt und wo ihr noch unbedingt hin müsst, bevor es zu spät ist, lest ihr hier. Claudia Wahjudi und Ina Hildebrandt geben Tipps für Kunst, die besten aktuellen Ausstellungen in Berlin und letzte Chancen.
Neu: Charlottenwalk
Die Galeriendichte in Charlottenburg beeindruckt mit alteingesessenen und jungen Händler:innen, etablierten und aufstrebenden Künstler:innen. Diese Vielfalt lässt sich beim Galerien-Rundgang Charlottenwalk in anregender sowie lockerer Atmosphäre erleben. Ursprünglich 2018 von einem Softwarehersteller für den Kunstmarkt gegründet, hat die Künstlerberaterin Susanne Burmehl 2022 den Charlottenwalk übernommen und bringt seitdem Interessierte und Experten zusammen. Diesmal sind 48 Galerien dabei, darunter die Galerie Springer mit den beeindruckenden Umwelt-Aufnahmen des kanadischen Fotografen Edward Burtynsky, hinter deren Schönheit oftmals zerstörerische Auswirkungen der Industrialisierung stehen. Los geht es mit dem Charlottentalk über die Veränderung in der Kunst mit Gästen wie Elvira Bach, Gernod Seeliger und Anahita Sadihgi.
Diverse Orte Charlottenburg, Sa 25.11., ab 11 Uhr, Gespräch: 11–12 Uhr, Dr. Schreyger’s Kunstpalast, Mommsenstr. 61, teilnehmende Galerien
Letzte Chance: Räume mit Aussicht
Die Ausstellung „Räume mit Aussicht“ im Haus Kunst Mitte” zeigt Werke von acht Villa Aurora-Stipendiaten. Das ehemalige Haus des aus Nazi-Deutschland geflohenen Künstlerehepaars Lion und Martha Feuchtwanger in Los Angeles, USA, beherbergt jedes Jahr bis zu 24 Stipendiaten aus den Bereichen Bildener Kunst, Literatur, Film und Komposition. Teilweise dokumentierten die gezeigten Arbeiten die Eindrücke und Zeit in Los Angeles mit Zeichnungen, Videos oder Fotografien. Eine Videoinstallation zeigt eine Person reglos auf einer Treppe eines amerikanischen Einkaufszentrums liegen, währen andere Menschen in Zeitlupe vorbeilaufen.
Mit den Aufnahmen einer Katastrophenschutzübung, setzt sich Lukas Schilling mit einer Stadt auseinander, die stark durch die Hollywoodindustrie, aber auch von Naturkatastrophen geprägt ist. Die Themen der künstlerischen Werke sind jedoch nicht nur auf Los Angeles beschränkt. In „Die Party ist vorbei“, einer Serie aus Gefäßen, die aus Glas-Mosaik Steinen des ehemaligen Centrum Warenhaus am Berliner Ostbahhof geblasen wurden, befasst sich Sonya Schönberger mit dem Verlust von Orten des Ostdeutschen Alltags.
- Haus Kunst Mitte Heidestr. 54, Moabit, Mi–So 12–18 Uhr, 5/ 3 €, bis 18 J. frei, bis 26.11.
Letzte Chance: Goldrausch 2023 – on the edge of
Anthropozän, Alltagsrituale, Popkultur und Ökonomie: Die diesjährige Ausstellung der Teilnehmerinnen des Goldrausch-Künstlerinnenprojekts „Goldrausch 2023 – on the edge of “ setzt sich mit so ziemlich allem auseinander, was den heutigen Zeitgeist ausmacht. Und in so ziemlich allen künstlerischen Formen von Malerei bis Experimentalfilm. Das gelingt zwar nicht allen der 15 Berliner Künstler:innen überzeugend, der Vielfalt wegen aber ist die Ausstellung einen Besuch wert.
- Galerie Weisser Elefant Auguststr. 21, Mitte, Di–Fr 11–19/ Sa 13–19 Uhr, bis 26.11.
Letzte Chance: Klang der Stille
Kann man Stille zeichnen? Océane Moussé kann das. Und sie kann die Unruhe und Widersprüchlichkeit der Stille zeichnen. Die Französin lässt mit feinen schwarzen Strichen Landschaften auf weißem Papier entstehen, zerknüllt sie wieder, lässt sie von blendendem Licht überstrahlen oder verwischt sie in mysteriösem Nebel. Beim längeren Hinschauen offenbart sich in den ruhigen Darstellungen zuweilen Gewalt: Zerklüftete, von Bohrungen malträtierte Böden. Oder dünne Bäumchen, die an die Aufnahmen von Alberto Errera im Vernichtungslager Auschwitz erinnern. Eindrückliche Arbeiten, die einen vom Wirrwarr auf der Karl-Marx-Straße rausbeamen.
- Galerie im Saalbau Karl-Marx-Straße 141, tägl. 10–20 Uhr, bis 26.11.
Letzte Chance: Luc Tuymans und Edith Clever in der Akademie der Künste
Der belgische Maler Luc Tuymans, 1958 geboren, und die deutsche Theater-Schauspielerin Edith Clever (82) stellen gemeinsam in der Akademie der Künste am Pariser Platz aus. Denn sie haben ein gemeinsames Thema: die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Doch die Unterschiede zwischen den beiden sind die zwischen zwei Generationen: Clever zeigt sich in Filmen ganz als Grand Dame des späten 20. Jahrhunderts, während Tuymans mit seinen Gemälden und vor allem einem spektakulären Teppich im 21. Jahrhundert angekommen ist.
- Akademie der Künste Pariser Platz 4, Mitte, Di–Fr 14–19 Uhr, Sa + So 11–19 Uhr, € 9/6 €, bis 18 J., Di u 1. So/ Monat frei, 15.9.–26.11.
Letzte Chance: Isa Genzken: 75/ 75
Die Neue Nationalgalerie kündigt Isa Genzkens 75. Geburtstag mit 75 Skulpturen an.
Und siehe da: Das Werk der berühmten Bildhauerin wirkt aktueller denn je, weil Genzken Alltagsmaterialien nutzt, die im Lauf der Zeit immer wieder neue Bedeutung erhalten haben. Als Genzken erstmals ihren Repliken der Büste von Nofretete eine Atemschutzmaske verpasste, hatte die Welt Covid noch nicht durchlitten, als sie Flugzeugfenster nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verwendete, war die Klimakrise noch kein Alltagsthema. Im gläsernen Erdgeschoss der Neuen Nationalgalerie gibt die Schau „Isa Genzken: 75/ 75“ einen Überblick über alle Phasen von Genzkens Werk: locker, licht und leicht verständlich.
- Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, Di–So 10–18, Do bis 20 Uhr, 12/ 6 €, bis 18 J., Do ab 16 Uhr und 1. So im Monat frei, bis 27.11.
Letzte Chance: Judit Reigl: Kraftfelder
Drei Bilder von Judit Reigl (1923–2020) hat die Neue Nationalgalerie geschenkt bekommen. Aus diesem Anlass richtet sie der ungarischen Malerin, die während der stalinistischen Zeit nach Paris floh, eine Rückschau aus: mit Werken der 1950er- bis 1980er-Jahre, die dem Informel zuzurechnen sind .
- Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, Di–Mi 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Fr–So 10–18 Uhr, 12/ 6 €, bis 18. J., 1. So im Monat + Do ab 16 Uhr frei, bis 26.11.
Letzte Chance: un_endlich: Leben mit dem Tod
Das Ende des Lebens ist Thema eine neue Sonderausstellung im Humboldt Forum, die eher einem Labyrinth als einer klassischen Ausstellung ähnelt. Filme, Klänge, interaktive Fragestationen und inszenierte Räume sollen Perspektiven auf das Sterben erhellen. Das Ganze ist sehr immersiv: wenig Objekte, wenig Fakten, mehr zum Erleben und Fühlen.
- Humboldt Forum Schloßplatz 1, Mitte, Mi–Mo 10.30–18.30 Uhr, 12/6 €, bis 18 J. + 1. So/Monat frei, ab 12 J., Tickets hier, bis 26.11.
Letzte Chance: Roads not Taken
Der Mauerfall 1989, die Panzer am Checkpoint Charlie 1962, das Wahlergebnis 1932: Das Deutsche Historische Museum geht mit „Roads not Taken“ dem Gedankenexperiment nach, was passiert wäre, wenn sich an 14 Wendepunkten deutscher Geschichte nach 1848 andere Wege ergeben hätten. Diese werden in Bildern inszeniert und realen Ereignissen gegenübergestellt, wie der nuklearen Explosion in Nevada 1957.
- Deutsches Historisches Museum Hinter dem Gießhaus 3, Mitte, tgl. 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, 8/ 4 €, bis 18 J. + 1.So/Monat frei, bis 24.11.23
Selma Selman
It’s a family business: Selma Selman hat zur Eröffnung ihrer ersten Einzelausstellung in Berlin gemeinsam mit Mitgliedern ihrer Familie im Gropius Bau Elektroschrott zerlegt – und an die 1000 Besucher:innen wollten das sehen. Die junge, aufstrebende Künstlerin aus Bosnien mit Rom*nja-Hintergrund wird international gefeiert. In der Performance Motherboards (2023) zur ihrer Wertschau „her0“ ist das komplexe Themenspektrum ihrer Arbeiten komprimiert: Elektroschrott zerlegen nicht als ein Akt der lustvollen Zerstörung, sondern des (Über-)Lebens für ihre Familie und viele Angehörige der Roma-Community; Nachhaltigkeitspraxis als Frage von Rass- und Klassismus; Anerkennung und Fluchtbedürfnis. Die aus der Performance entstandenen Dinge sowie zahlreiche frühere und neue Werke geben einen Überblick über Selmans diverse Arbeitsweise, in der sie Performance, Malerei, Fotografie und Video vereint.
- Martin Gropius Bau Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg, Mo, Mi, Do, Fr 11–19/ Sa+So 10:00–19 Uhr, Eintritt frei
full stop
Kunst und Industrieorte passen eben gut zusammen. In der ehemaligen Kreuzberger Mercedes Benz Werkstatthalle, wo bereits die erfolgreiche Berlin-Bishkek-Biennale stattfand, gibt es Malerei, Skulpturen und Installationen zu sehen. Kuratorin Inga Krumme präsentiert mehr als 20 Werke von Künstler:innen aus dem Umfeld von Maler und UdK-Professor Burkhard Held, darunter Saaid Balbaki, Ulrike Buhl und Jinhee Kim. Dabei ist der weitläufige Werkstattraum mit einzelnen kleineren Nebenzimmern alles andere als neutraler white cube, sondern wirkt auf die Wahrnehmung der Kunst ein.
- Art Kreuzberg e.V. Prinzessinnenstr. 21, Kreuzberg, Sa 16–22/So 14–18 Uhr, Sa 25.11. ab 18:30 Lesung mit Matthias Riesche und Sara Reichelt, bis 26.11.