Mit Prognosen ist Boris Winter derzeit eher zurückhaltend. Ob der Altstadtparkplatz im Schatten der historischen Stadtmauer von Büdingen (Wetterau) am Freitagabend voll werden wird oder nicht – wer kann das schon so genau sagen?
Angemeldet hat der Vorsitzende des Büdinger Bündnisses für Demokratie und Vielfalt erst mal nur 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Natürlich hoffen er und sein Verein auf mehr: “Aber aus der Erfahrung heraus muss man erst einmal tiefstapeln.”
Protest gegen eine menschenverachtende Ideologie
Erfahrung mit Protesten gegen rechts hat man in der Wetteraugemeinde zur Genüge. Seien es Bundesparteitage der rechtsextremen NPD oder Auftritte von führenden Köpfen der AfD. Immer wieder haben zivilgesellschaftliche Organisationen – allen voran das 2016 gegründete Bündnis – Gegenproteste organisiert.
An diesem Freitag aber gibt es keine Veranstaltung, gegen die sich der Protest richtet. Büdingen will sich einreihen, in die lange Liste von Städten, in denen in den vergangenen Wochen gegen Rechtsextremismus protestiert wurde. “Wir demonstrieren gegen eine Denkweise, gegen eine menschenverachtende Ideologie”, betont Winter. Kein leichtes Unterfangen in einer Stadt, die sich den Ruf einer rechten Hochburg erworben hat.
AfD-Ergebnis deutlich über dem Landesschnitt
Denn dass die Wetterau-Gemeinde mit ihren knapp 21.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in den vergangenen Jahren auffällig viele Veranstaltungen aus dem rechten Spektrum anzog, hat seinen Grund. Bereits vor den Erfolgen der AfD bei der jüngsten Landtagswahl, sorgten zweistellige Ergebnisse der verfassungsfeindlichen NPD (inzwischen umbenannt in “Die Heimat”) bei der Kommunalwahl 2016 bundesweit für Aufsehen. Zeitweise stellten die Rechtsextremisten vier Stadtverordnete.
Inzwischen sieht das Bild etwas anders aus. Im Stadtparlament sitzt nur noch ein Mann von der NPD. Die AfD errang 2021 zwei Sitze, trennte sich jedoch schon kurz nach der Wahl vom Stadtverordneten Jochen Amann, weil dieser “Gedankengut und politische Vorstellungen offenbart” habe, die nicht mit den Werten der Partei übereinstimmten. Amann gehört dem Parlament weiter als Parteiloser an.
Doch die kommunalen Mandate spiegeln längst nicht mehr die politische Stimmungslage in Büdingen wider. Bei der Landtagswahl im Oktober 2023 lag die AfD mit 27,4 Prozent der Zweitstimmen noch einmal deutlich über dem Landesergebnis. Und auch abseits der institutionellen Politik ist der gesellschaftliche Rechtsruck spürbar.
Rechte Vernetzung in den Vereinen
“Die Rechten sind zum Beispiel extrem gut vernetzt in den Vereinen”, sagt Dirk Hofmann, Beisitzer im Bündnis für Demokratie und Vielfalt. Ob Fußball oder Feuerwehr, überall finde man Wortführer, die ihr Klientel ansprechen und als Multiplikatoren für demokratiefeindliche Positionen fungieren. Seit der Corona-Pandemie habe sich das nochmal verstärkt. “Und wenn du dann was sagst, dann bist Du halt linksversifft.”
Hofmann ist nicht der Einzige im Bündnis, der solche Erfahrungen gemacht hat. Auch Kassierer Christian Ulrich durfte sich schon unterstellen lassen, “von der Regierung” bezahlt zu werden. Dabei ist er parteipolitisch bei den Freien Wählern organisiert, die sich unlängst etwa dafür ausgesprochen haben, die in Büdingen ansässige Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge nach 2025 nicht weiter zu betreiben.
Was die Parteizugehörigkeiten angeht, ist das Bündnis für Demokratie und Vielfalt breit aufgestellt. Der erste Vorsitzende Boris Winter ist zugleich Chef der örtlichen SPD, der zweite Vorsitzende, Lothar Euler, CDU-Mitglied. Auf der einen Seite eine Garantie für eine gute Vernetzung vor Ort, auf der anderen Seite ein gefundenes Fressen für Rechte, die hinter den jüngsten Protesten einmal mehr eine Kampagne der “Systemparteien” vermuten.
AfD schaltet auf Angriff
Die Gegenreaktion hat entsprechend nicht lange auf sich warten lassen. In den sozialen Medien schlägt dem Bündnis der geballte Hass rechter Kommentatoren entgegen. Der Ex-AfD Stadtverordnete Amann reagierte derweil mit einem “Bürgerbrief”, den er nach eigenen Angaben in einer Auflage von 6.000 Stück drucken ließ. Darin stellt er das Bündnis als eine Initiative von “Parteifunktionären” dar, die mit Hilfe der lokalen Presse die “Zerstörung der Demokratie im Namen der Demokratie” betrieben.