Mo. Dez 23rd, 2024
Hessens Grüne standen in einer Landtagsdebatte über die Bezahlkarte für Flüchtlinge ziemlich allein da. CDU und FDP holten sich Schützenhilfe auf dem Boulevard. Und der AfD war ein Grünen-Bashing allein zu wenig.

Bezahlkarte statt Bargeld: Der seit Wochen anhaltende Streit darüber, in welcher Form Asylbewerber in Deutschland das vom Staat gewährte Geld künftig ausgeben dürfen, hat nun auch den Landtag erreicht. Die oppositionellen Grünen drückten am Donnerstag wie angekündigt mit einem Antrag aufs Tempo, weil Hessen noch immer keinen konkreten Plan vorgelegt habe.

“Zügig”, “unbürokratisch”, “kostengünstig” und “diskriminierungsfrei” müsse die CDU/SPD-Landesregierung die geplante Einführung der Bezahlkarte im Bundesland nun endlich angehen. So forderte es Lara Klaes, Sprecherin für Flucht der Grünen-Fraktion.

Das kam Kritikern aus allen anderen Fraktionen paradox vor – angesichts der Rolle der Grünen in der Auseinandersetzung innerhalb der Ampel-Bundesregierung über die Karte. So entwickelte sich ein Streit, in dem beide Seiten den Vorwurf erhoben, der Gegner greife zu Populismus in der Debatte.

Drei Politiker, eine Lektüre

Bei der Wahl des Beweismittels gegen die Grünen offenbarte ein Duo gleiche Lektüregewohnheit: Ingo Schon von der regierenden CDU und Yanki Pürsün von der FDP, die mit den Grünen in Wiesbaden in der Opposition und in Berlin Teil der Regierung ist. Schon und Pürsün hielten die aktuelle Titelseite der Bild-Zeitung hoch.

Mit dem Boulevard gegen die Grünen: Das lag an diesem Sitzungstag im Trend. Später, in einer ganz anderen Debatte über die Schuldenbremse, zeigte CDU-Ministerpräsident Boris Rhein eine andere Ausgabe des Blattes vor. Er zog es als Autorität bei einer heftigen Attacke gegen den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck heran.

Ministerpräsidenten soweit einig

Was die Bezahlkarte betrifft: Auf die bundesweite Einführung nach einem einheitlichen System hatten sich die Regierungschefs der Länder bereits im vergangenen November geeinigt. 14 der 16 Bundesländer wollen diesen Sommer ein gemeinsames Vergabeverfahren abgeschlossen haben. Darunter ist auch Hessen. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern suchen jeweils nach einer eigenen Lösung.

Befürworter halten die Guthabenkarte für ein geeignetes Mittel, die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge zu verringern. Sie soll den Anreiz für eine Einreise mindern. Migranten sollen kein Geld mehr an Verwandte oder Freunde in ihren Heimatländern überweisen oder damit Schlepper bezahlen können.

Nur ein kleiner Betrag soll bar abgehoben werden können. Wie hoch dieser Betrag für Bargeld ausfällt und wo die Karte gelten soll, ist noch umstritten. Darüber und über Zusatzfunktionen soll jedes Land selbst entscheiden können.

Grüne: Karte kein Allheilmittel

Die Grünen stehen der Karte vergleichsweise skeptisch gegenüber. Der monatelange Streit vor allem mit der FDP in der Ampelkoalition schien zwar zwischenzeitlich beigelegt. Weil Teile der grünen Bundestagsfraktion sich zuletzt wieder querstellten, platzte aber diese Woche die geplante Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes doch noch.

Die Bezahlkarte werde kommen – daran rüttelte die Grünen-Politikerin Klaes in der Landtagsdebatte nicht. Hinter der lauten Forderung der anderen Parteien nach der Karte stecke aber “billiger und falscher Populismus”. Es seien nicht in erster Linie die Sozialleistungen, die Menschen zur Flucht nach Deutschland treibe. Schon deshalb werde die Karte “kein Allheilmittel” gegen Fluchtbewegungen oder Schlepper sein.

In jedem Fall muss die Landesregierung nach Meinung der Grünen endlich festlegen, wie die hessische Bezahlkarte funktionieren soll. Andere Länder seien weiter. Klaes‘ inhaltliche Kernforderungen: Die Karte müsse für die zuständigen Kommunen praktikabel sein. “Flüchtlinge dürfen nicht von der sozialen Teilhabe ausgeschlossen worden”, fügte sie hinzu. Die Bezahlkarte müsse unbeschränkt und deutschlandweit gültig sein und Geldabhebungen ermöglichen, da man vieles nur bar bezahlen könne.

Ministerin strebt einheitliche Lösung der Länder an

Ein “Eigentor” nannte CDU-Politiker Schon diese Initiative der Wiesbadener Grünen angesichts des neu entbrannten Streits in der Bundesregierung. Die Karte wertete er als “Meilenstein in einer veränderten Integrationspoltik”. Maßgeblich angestoßen hätten den bundesweiten Kurswechsel die schwarz-rote hessische Koalition und Regierungschef Rhein als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz.

Auch Integrationsministerin Heike Hofmann (SPD) wies Kritik zurück. Die Bezahlkarte werde wie im Koalitionsvertrag vereinbart gewiss kommen und eine “gute und intelligente Lösung” bieten. Dabei sei der Landesregierung ein einheitliches Vorgehen aller Bundesländer wichtig.

Die SPD-Abgeordnete Nadine Gersberg hielt den Grünen sogar vor, deren Vorwürfe seien “populistisch und nicht sachlich”. Auf die von ihnen geforderten Kriterien hätten sich die Länder in wichtigen Punkten längst festgelegt.

FDP: Grüne wollen Hürden aufbauen

Den hessischen Grünen gehe es gar nicht ums Tempo – diese Vermutung äußerte FDP-Mann Pürsün. Sie hätten vielmehr die durchschaubare Absicht, bei der Ausgestaltung der Bezahlkarte “Hürden aufbauen zu wollen”.

Seine Kritik zielte aber auch auf Schwarz-Rot in Hessen. Die Regierung tue so, als ob sie es nicht eilig habe. “Eile ist aber geboten”, sagte Pürsün. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Asylrecht und Flüchtlingsschutz nehme ab.

AfD will noch restriktiveren Kurs

Es war der AfD-Fraktionsvorsitzende Robert Lambrou, der ein “Grünen-Bashing” in der Debatte konstatierte – aber nicht, um diese zu verteidigen. Auch alle anderen Parteien hätten in der Asylpolitik versagt und die Forderung seiner Partei nach Sachleistungen jahrelang abgelehnt.

Die Grünen hätten einen “Schaufensterantrag” vorgelegt, weil ihnen Restriktionen für Migration ein Dorn im Auge seien. Ermögliche Hessen höhere Bargeldabhebungen mit der Karte als etwa Bayern mit angekündigten 50 Euro, ziehe das weitere Asylbewerber an. Es sollten aber einzig noch Menschen kommen, die Schutz suchen. Lambrou forderte: “Ausreichende Ernährung, eine Unterkunft und die nötigsten Mittel für den täglichen Bedarf – mehr sollte es nicht geben.”