Der Startschuss fällt nüchtern aus. Kein Festakt, keine großen Reden, dafür jede Menge Polizeischutz. “Meine Damen und Herren, Sie haben soeben den ersten Start auf der 18 West miterlebt”, verkündet ein Sprecher des Frankfurter Flughafens am 12. April 1984. Einige Minuten zuvor – genau um 9.26 Uhr – ist der Lufthansa-Airbus “Lüneburg” in Richtung Paris abgehoben. “Damit”, erläutert der Flughafensprecher weiter, “ist ein in der öffentlichen Meinung, zugegeben, umstrittenes Verkehrsprojekt in Betrieb genommen worden.”
Es ist die vielleicht stärkste Untertreibung bei einer von vornherein auf Understatement ausgelegten Veranstaltung. Tatsächlich aber ist die Eröffnung der Startbahn West am Frankfurter Flughafen in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein. Bereits 19 Jahre zuvor beantragte die Frankfurter Flughafengesellschaft den Bau einer neuen dritten Startbahn, um der steigenden Passagierzahlen Herr werden zu können.
“In einem Industrieland wie der Bundesrepublik Deutschland ist der Luftverkehr eine der wichtigsten Voraussetzung zur Sicherung wirtschaftlicher Zukunft”, befindet der damalige hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD). Doch dieses Argument überzeugt beileibe nicht alle. Und so haben sich die – teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen – um den Bau der Startbahn West bis heute in Hessens kollektives Gedächtnis gebrannt.
Protest von Beginn an
Umstritten ist das Infrastrukturprojekt quasi vom ersten Tag an. Denn für die neue Startbahn müssen 195 Hektar Wald beziehungsweise 370.000 Bäume weichen. 15 Jahre lang beschäftigt der Rechtsstreit zwischen Befürwortern und Gegnern die deutsche Justiz. Als die Richter schließlich grünes Licht für den Bau der vier Kilometer langen Betonpiste geben, hat sich die Auseinandersetzung längst von den Gerichtssälen auf die Straße verlagert – und in den Wald.
Bereits in den frühen 1970er-Jahren bilden sich vor allem in den Gemeinden rund um den Flughafen Protestgruppen und Bürgerinitiativen gegen die Startbahn West. Doch die Proteste auf der Straße kann die SPD-geführten Landesregierungen dieser Zeit ebenso wenig umstimmen wie später ein Volksbegehren, das 220.000 Unterschriften sammelt.
Ab Mai 1980 errichtet eine Bürgerinitiative eine Hütte im geplanten Rodungsgebiet, um Spaziergängerinnen und Spaziergänger über ihr Anliegen zu informieren – die Keimzelle des späteren Hüttendorfs.
Spätere Landespolitiker mit dabei
Als der Hessische Verwaltunsgerichtshof am 21. Oktober 1980 den Bau der Startbahn West endgültig für zulässig erklärt, spitzt sich der Protest zu. Nach den ersten Rodungsarbeiten im November protestieren 15.000 Menschen auf dem Gelände. Kurz darauf entsteht rund um die Hütte der Bürgerinitiative das als “Hüttendorf” bekannte Protestcamp der Ausbaugegner.
Dieses wird zum Ausgangspunkt regelmäßiger Protestspaziergänge – und bietet Infrastruktur für Kulturveranstaltungen und längere Aufenthalte. Schnell wird klar: Die Besetzer sind gekommen um zu bleiben.
“Die Stimmung war gut”, erinnert sich Dirk Treber. Es wird gemeinsam gesungen, gegessen und musiziert. Treber sitzt ab 1982 als einer der ersten Grünen im hessischen Landtag. Bereits zehn Jahre zuvor ist er mit seiner Frau Wilma Frühwacht-Treber in der Bewegung gegen den Ausbau der Startbahn aktiv. Treber ist nicht der einzige Grünen-Politiker, der sich seinerzeit an den Startbahn-West-Protesten beteiligt. Unter den Demonstranten befinden sich nach eigenem Bekunden mit Tarek Al-Wazir und Priska Hinz auch zwei spätere Mitglieder schwarz-grüner Landesregierungen.
Als das Hüttendorf genau ein Jahr nach den ersten Protesten im Mörfelder Wald am 2. November 1981 geräumt wird, wird der Protest gegen die Startbahn West endgültig zur Massenbewegung. Hausfrauen, Pfarrer, Schülerinnen und Schüler, Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligen sich. Eine “Allianz von Langhaarigen und Grauhaarigen”, wie es seinerzeit mit leicht ironischem Unterton heißt. Zwei Wochen nach der Räumung demonstrieren 150.000 Menschen in Wiesbaden – bis heute die größte Demonstration in der Geschichte Hessens.
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