2015 flieht Rostam Nazari als Jugendlicher übers Mittelmeer nach Europa und besucht in Marburg erstmals eine Schule. Mittlerweile ist er Elektriker und Unternehmer – und beschäftigt bewusst junge Menschen mit ähnlicher Geschichte.
Rostam Nazari ist fasziniert von Elektrizität. Das liegt wohl auch daran, dass er viele Jahre lang ohne sie gelebt hat. “In Afghanistan hatten wir keinen Strom, nicht mal einen Kühlschrank oder eine Lampe”, erzählt er.
Besonders die Kraft der Sonne begeistert ihn. “Eine Solaranlage kann man überall aufbauen, sie läuft auch im Notfall.” Er habe schon immer wissen wollen, wie das alles funktioniert.
Eigenes Unternehmen mit 24 Jahren
Mittlerweile weiß Nazari das sehr genau. Der gelernte Elektriker steht in der heißen Mittagssonne auf dem Dach einer Gärtnerei in Oberweimar bei Marburg. Um ihn herum schrauben mehrere junge Männer in Arbeitskleidung Photovoltaik-Paneele an. Sie lachen und reichen Werkzeuge hin und her, über den Schraubgeräuschen hängt ein Sprachenmix aus Persisch, Deutsch und Englisch.
Rostam Nazari hat mittlerweile 14 Angestellte. Der ehemalige unbegleitete minderjährige Flüchtling führt ein eigenes Solarbau-Unternehmen – mit erst 24 Jahren.
Aufgewachsen im Camp im Iran
Der heutige Jung-Unternehmer hat bereits einen bemerkenswerten Lebensweg hinter sich. Im Jahr 2000 wurde Nazari in Afghanistan geboren. Als er sieben Jahre alt war, floh seine Familie in den Iran. Nazari wuchs dort im Flüchtlingscamp auf und begann bereits als Kind in verschiedenen Jobs zu arbeiten, unter anderem als Mechaniker.
Inmitten der großen Fluchtbewegungen im Jahr 2015 brachen die Nazaris dann auf nach Europa – doch unterwegs verloren sie den Kontakt zueinander. Per Schlauchboot schafften Rostam und sein Bruder es ohne die Eltern übers Mittelmeer und landeten schließlich in Marburg. Erst Monate später bekam der damals 15-Jährige wieder Kontakt zu den Eltern, die mittlerweile in der Türkei leben.
Erst in Marburg Lesen und Schreiben gelernt
In Marburg kam Nazari in einer Wohngruppe unter und besuchte eine Intensivklasse. Erst hier lernte er Lesen und Schreiben und schließlich so gut Deutsch, dass er bereits wenige Jahre nach seiner Ankunft seine Flucht-Geschichte aufschrieb und als Buch veröffentlichte. Schließlich machte er den Hauptschulabschluss und eine Ausbildung zum Elektriker.Audiobeitrag
Jahrelang habe ihm allerdings währenddessen noch die Abschiebung gedroht. Nur mit anwaltlicher Hilfe habe er verhindern können, nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden. Erst seit vergangenem Jahr hat er nun eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Gemeinsam mit einem Freund gründete Nazari dann vor einem Jahr eine eigene Firma für Photovoltaik-Anlagen. Er sagt, er habe damit verschiedene Dinge zusammenbringen wollen: dem Fachkräftemangel begegnen, etwas fürs Klima tun und gleichzeitig seinen eigenen Lebenstraum erfüllen – selbstständig zu sein.
60 Bewerbungen, eine Zusage
“Ich wollte schon immer mein eigener Chef sein, eigene Entscheidungen treffen und vieles anders machen, als ich das selbst erfahren habe”, sagt er. Vor allem eines sei ihm wichtig: Menschen nicht allein auf dem Papier zu bewerten.
Nazari berichtet: Er selbst habe rund 60 Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz geschrieben, aber nur eine einzige Zusage bekommen. “Und das, obwohl ich schon ein geübter Handwerker war.” Heute glaubt er, die Unternehmen hätten vermutlich Angst vor jemandem wie ihm gehabt. “Die haben sich gefragt: Klappt das mit der Sprache? Schafft der überhaupt eine Ausbildung? Wie sollen wir mit dem umgehen?”
Leuten eine Chance geben, die sonst keinen Anschluss finden
Viele Leute, die qualifiziert seien und viel Erfahrung mitbrächten, fänden leider in Deutschland keinen Anschluss, klagt Nazari. In seinem Unternehmen will er das anders machen. Hier arbeiten mittlerweile Menschen aus sieben Ländern: Usbekistan, Afghanistan und Somalia beispielsweise, aber auch aus Kanada und natürlich Deutschland. Alle Bewerber machen erst mal zwei Wochen Praktikum, sagt Nazari: “Persönlichkeit ist für uns das A und O.”
Der Vorteil: Bei der Photovoltaik-Anlageninstallation müssen nicht alle Arbeiten von gelernten Elektrikern ausgeführt werden. Die Firma kann deshalb auch Menschen beschäftigen, die keine Ausbildung haben.
Kompagnon: Nazari hat ganz andere Motivation
Das Unternehmen “SolarBau24” haben Nazari und sein Freund David Szielenski vor einem Jahr zusammen gegründet. Die beiden kennen sich aus der Wohngruppe. Nazari war Bewohner, Szielenskis Mutter Betreuerin.
Szielenski hat nach eigenen Angaben Wirtschaft studiert und schon verschiedene StartUps mitgegründet. “Irgendwann haben Rostam und ich dann gesagt: Lass doch zusammen was starten.” Er glaubt: Jemand wie Nazari, der “von nichts kommt”, habe eine ganz andere Motivation, etwas zu bewegen als viele Menschen aus privilegierteren Verhältnissen.
Extra frei fürs Zuckerfest
Die beiden führen ihre Firma nun ganz bewusst “multikulti”, wie sie sagen. Das bedeutet: Sie wollen Rücksicht auf die Bedürfnisse der Angestellten nehmen. “Wir geben zum Beispiel extra frei, wenn einer Zuckerfest feiern will oder früher gehen muss, weil er zum Freitagsgebet will”, erklärt Szielenski.
Nazari weiß aus eigener Erfahrung: Alleine in Deutschland zu sein, das ist hart. Weil auch viele seiner Mitarbeiter keine Angehörigen hier haben, sei zum Beispiel das Essen ein großes Thema. Die Firma biete deshalb selbstgekochtes Mittagessen mit wechselnden internationalen Gerichten an, das jeden Tag auf die Baustelle gebracht wird.
“Die Mitarbeiter sind die Diamanten”
Szielenski sagt: Viele ihrer Angestellten würden allein aufgrund ihrer derzeitigen Deutschkenntnisse keine klassische Ausbildung schaffen. “Wir nehmen die Leute, die es in einem normalen Handwerksbetrieb schwer hätten, stellen uns auf sie ein und machen sie in ihrem Arbeitsbereich zu Spezialisten.” Wenn nötig, qualifiziere man sie auch weiter, etwa durch Kurse von der Agentur für Arbeit.
Rostam Nazari findet dafür etwas blumigere Worte als sein Kompagnon. “Ich sage immer: Bei uns ist der Kunde König, aber die Diamanten – das sind unsere Mitarbeiter.”