Sa. Dez 21st, 2024

Die Proteste gehen weiter: In Büdingen sind Aktionen gegen die Teilschließung des Mathilden-Hospitals geplant. Die politische Entscheidung steht aus. Doch können die Pläne des Betreibers wirklich gestoppt werden?

Wenn am 4. Juni in Wiesbaden der Landeskrankenhausausschuss tagt, dann könnte in Büdingen eine Ära zu Ende gehen. Der Ausschuss soll die Frage diskutieren, ob das Mathilden-Hospital weiter für die flächendeckende Grundversorgung im Wetteraukreis unabdingbar ist.

Das Krankenhaus existiert seit 1867, im Jahr 1998 wurde es privatisiert. Über eine Stiftung und einen Förderverein ist es mit der Büdinger Bürgerschaft verzahnt, die Büdinger nennen das Krankenhaus liebevoll ihr “Mathildchen”.

Ende April kündigte der Betreiber Bergman Clinics an, die gesamte Somatik mit den Bereichen Innere Medizin, Chirurgie, HNO, Notaufnahme sowie Intensivstation schließen zu wollen. Bis zu 150 Beschäftigte könnten ihren Job verlieren. Das Krankenhaus soll in eine Psychiatrie umgebaut werden. Das schon vorhandene Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) und das ambulante Operationszentrum sollen ausgebaut werden.

Lokale Politik und Bürger für Erhalt

Die Aufregung ist seitdem groß in der Stadt: Die Stadtverordneten luden zur Sondersitzung, am Freitag (31.5.) soll es um 19 Uhr eine Kundgebung vor dem Büdinger Rathaus geben, lokale Politiker wollen sich in Wiesbaden für den Erhalt des Krankenhauses mit allen Stationen einsetzen. Mehr als 4.000 Menschen haben eine Online-Petition für den Erhalt unterzeichnet. Doch die Chancen dafür sind gering.

Das Hessische Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG) betonte auf hr-Anfrage, dass es letztendlich nicht über Schließung des Krankenhauses entscheide. Die Entscheidung liege beim Betreiber.

Der kommende Woche tagende Landeskrankenhausauschuss gebe eine Empfehlung ab. Einer Schließung widersprechen könne das Ministerium nur, wenn das Krankenhaus-Aus die flächendeckende Versorgung der Region gefährde. Diese werde aber durch umliegende Krankenhäuser sichergestellt, mit denen es entsprechende Gespräche gegeben habe.

“Versorgungsdichte weiterhin groß”

Auch Experten sehen aktuell nur eine bedingte Gefahr der Unterversorgung. “Wenn man die generelle Versorgungsdichte in Deutschland mit anderen Ländern vergleicht, so ist sie auch gemessen an der Bevölkerungsdichte noch sehr, sehr groß”, sagt etwa Christiane Saure, Direktorin des Zentrums für Gesundheitswirtschaft und Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Rainer Bobsin, der über das Gesundheitssystem mehrere Sachbücher geschrieben hat, erinnert zudem daran, dass der Hauptinvestor des Betreibers Bergman die Private-Equity-Gesellschaft Triton ist.

Diese will “ambulant ausgerichtete Gesundheitsdienstleister ausbauen”, wie sie auf ihrer Webseite schreibt. Dort sieht sie “solide Wachstumsaussichten”. Private-Equity-Gesellschaften seien an Rendite durch einen späteren Weiterverkauf zu einem höheren Preis interessiert, erklärt Bobsin.

Und was würde passieren, wann das Land nein sagt? “Möglicherweise beendet Bergman die stationäre Versorgung dann ganz”, spekuliert der Autor.

Betreiber: 50 von 155 Planbetten belegt

Die Bilanzzahlen sehen nach Angaben von Bergman nicht gut aus: Auf hr-Anfrage schreibt das Unternehmen, das Haus fahre seit 2020 so hohe Verluste ein, dass sein Weiterbetrieb wie bisher nicht möglich sei. Genaue Zahlen nennt Bergman nicht. Nur so viel: Zuletzt seien in der Somatik durchschnittlich 40 bis 50 Betten von insgesamt 155 Planbetten belegt gewesen – was nach Angaben des Krankenhaus-Betriebsrats allerdings an Personalmangel liegt.

Vom Klinikbetreiber heißt es: “Unsere aktuellen Zahlen zeigen, dass sich in der Stadt Büdingen sechs von zehn Patienten für eine Behandlung in einem anderen Krankenhaus entscheiden, obwohl der Eingriff auch im Mathilden-Hospital durchgeführt werden könnte.”

Generell seien in Büdingen etwa die Hälfte der häufigsten stationären chirurgischen Eingriffe ambulant durchführbar. Die Nachfrage nach stationären Behandlungen sei spätestens seit 2020 bundesweit rückläufig.

Expertin: “Versorgung ist Quadratur des Kreises”

Für Christiane Saure steht das Mathilden-Hospital exemplarisch für die Probleme vieler kleinerer Krankenhäuser. Seit mehr als 20 Jahren werde über die Frage diskutiert, wie eine gute Versorgung auf dem Land aussehen könne, die gleichzeitig finanzierbar bleibe. “Quasi eine Quadratur des Kreises”, sagt Saure.

Bergman nehme hier teilweise die angekündigte Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorweg, nach der die Versorgung zentralisiert werden solle – hin zu weniger und größeren Zentren mit Maximalversorgung. Studien hätten gezeigt, dass eine solche Zentralisierung bei einer engen Verzahnung aller Beteiligter zu einer Verbesserung der Versorgung führe.

Zentralisierung bringt auch Vorteile

Auch Experte Bobsin sagt, es sei folgerichtig, dort den Schwerpunkt hin zum Ambulanten zu verlagern, wo die stationäre Versorgung schlecht ausgelastet sei und nötige Fallzahlen nicht erreicht würden. “Ich würde mein Hüftgelenk nicht von jemandem einsetzen lassen wollen, der so eine OP nur drei Mal im Jahr macht”, erläutert er.

Auch für das Personal habe eine Konzentration letztendlich Vorteile, ergänzt Christiane Saure von der Frankfurt University of Applied Sciences. Bei einer größeren Organisation könnten flexiblere Strukturen geschaffen werden – etwa für Vertretungen.

“21 Minuten sind eben nicht fünf Minuten”

Etwas kritischer sieht Saure die ebenfalls angekündigte Schließung der Notaufnahme. “Dass der Landrat sagt: Die Leute müssen künftig zu weit fahren, kann ich schon verstehen”, sagt Saure. “21 Minuten nach Gelnhausen sind eben nicht fünf Minuten wie bisher, auch wenn 21 Minuten vom Grundsatz her noch akzeptabel sind.”

Dazu schreibt Bergman auf Nachfrage: “In der Vergangenheit kam es aus Kapazitätsgründen zu Abmeldungen in der Notfallaufnahme”, dies sei ein bundesweiter Trend. Bei einer Abmeldung fahren Rettungsdienste in Notfällen andere Krankenhäuser an.

Die Abmeldungen seien in den meisten Fällen stundenweise erfolgt, im Jahr 2023 sei das Mathilden-Hospital aber zu 45 Prozent von der Notfallversorgung abgemeldet gewesen. Bobsin erinnert daran, dass Patienten mitunter nach einer Notaufnahme weiterverlegt werden müssten, weil sie vor Ort nicht behandelt werden können.

Expertin: Politik könnte proaktiv handeln

Auch eine Neuorganisation der Notfallversorgung werde seit langem diskutiert, sagt Christiane Saure. Angedacht seien integrierte Leitstellen, die an für den Notfall am besten passende integrierte Notfallzentren weiterleiteten. Wo diese künftig auf- und ausgebaut würden, sei aber noch nicht klar.

Hier könne der Wetteraukreis nun proaktiv werden und zum Beispiel über den Verbund des Versorgungszentrums Wetterau eine eigene Struktur gründen. Auch die Gründung von MVZ durch Kreise und Städte sei seit einiger Zeit erlaubt – dann müsse sich die Politik nicht weiter auf private Betreiber wie Bergman verlassen.

“Die Gesundheitspolitik müsste sich die Entscheidungsmacht zurückholen”, sagt auch Rainer Bobsin. “Nur gibt es keinerlei Ansätze dafür.”

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