Die Hessen-CDU will es abschaffen, die SPD findet es noch immer klasse: Diesen Dissens der Regierungspartner beim Deutschlandticket führen die Grünen im Landtag vor – und handeln sich heftige Vorwürfe des Verkehrsministers ein.
Wenn eine Oppositionspartei der Regierung in gönnerhaftem Ton sagt, sie wolle ihr doch nur zu mehr Klarheit verhelfen, ist selbstverständlich Vorsicht angesagt. Es gab denn auch einen Hintergedanken, als die Grünen am Donnerstag im Landtag der schwarz-roten Koalition so ein Angebot unterbreiteten.
Es ging um das derzeit 49 Euro teure Deutschlandticket, um dessen Zukunft gerade bundesweit gerungen wird. Mit einem Antrag wollten die Grünen erreichen, dass die CDU und vor allem die SPD als deren kleinere Koalitionspartnerin Farbe bekennen.
“Ist Schwarz-Rot in diesem Land bereit, das Deutschland-Ticket fortzuführen und es auch zu bezahlen?” Das war laut Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner die einfache Frage. Gestellt hatte er sie offenkundig, um zu zeigen: Für die seit Januar regierende Koalition ist die Sache alles andere als einfach.
Zitat-Collage als Bosheit
Denn CDU und SPD haben auf Parteiebene unterschiedliche Meinungen über die zum 1. Mai des vergangenen Jahres eingeführte, bundesweit gültige ÖPNV-Monatskarte. Um die Vorführung dieser Differenz auf die Spitze zu treiben, bauten die Grünen einen Antrag mit dem Bekenntnis zur Flatrate-Fahrkarte auch noch aus lauter Zitaten zusammen. Die Collage bestand ausschließlich aus Äußerungen von Landesverkehrsminister Kaweh Mansoori (SPD).
Mansoori wiederholte in der Debatte denn auch, was er schon vorher gesagt und die Grünen in ihren Antrag kopiert hatten: Er halte das Ticket für eine “Revolution des ÖPNV”, weil es ohne Tarifgrenzen für die Kunden so einfach sei. SPD-Fraktionschef Tobias Eckert sprach von einer “echten verkehrspolitischen Errungenschaft”.
Die Union positionierte sich vor zwei Wochen allerdings ganz anders. Sie beschloss auf ihrem Landesparteitag in Wetzlar: “Die Landesregierung und die CDU-Landesgruppe im Bundestag mögen sich beim Bund für ein Ende des 49-Euro-Tickets einsetzen.”
Gefühl der Bestätigung
Am Ende der Landtagsdebatte senkten neben der oppositionellen AfD und der CDU die Sozialdemokraten den Daumen über den Pro-Deutschlandticket-Antrag der Grünen. Diese fühlten sich in ihren Ahnungen bestätigt: “SPD lehnt eigenes Bekenntnis zum Deutschlandticket ab”, war ihre Pressemitteilung überschrieben. Darin hieß es, faktisch arbeite die SPD mit dem größeren Partner CDU gegen das Deutschlandticket.
Laut Katy Walther, der verkehrspolitischen Sprecherin der Grünen, hat die Debatte auch klargemacht: CDU und SPD trügen mit “irrlichternden Sparplänen“ zu einem Kahlschlag im ÖPNV bei. Das bedeute weniger Züge, weniger Personal und dreckigere Bahnhöfe.
Minister kontert scharf
Die Kritik an solchen Plänen zu Lasten der regionalen Verkehrsverbünde wies der Verkehrsminister mit drastischen Worten zurück. Mansoori wies zwar auf Zwänge der Haushaltspolitik hin, warf den Grünen aber vor, mit “Halbwahrheiten vom Hörensagen” und “Falschmeldungen” zu operieren. Es sei zum Beispiel unwahr, dass Hessen das Ticket für Schulausflüge streichen wolle, wie es die Grünen behauptet hätten.
Dass es beim Preis von 49 Euro für das Deutschlandticket nicht bleiben werde, sagte der Verkehrsminister auch. Er sprach von “Preisentwicklung”. Bis 2025 hatten sich Bund und Länder geeinigt, zu gleichen Teilen zu übernehmen, was bei den Verkehrsgesellschaften an Verlusten wegen des Tickets anfällt.
Auf eine umstrittene Preiserhöhung verständigten sich die Verkehrsminister der Länder vor kurzem, weil die Kosten gestiegen seien und der Bund seine Zuschüsse kürze. Einen neuen Betrag nannten die Minister nicht. Das Ticket solle möglichst attraktiv bleiben, die Verteuerung möglichst moderat ausfallen, hieß es.
Hinweis auf Koalitionsvertrag
Formell parierte die hessische Regierungskoalition die Attacke der Grünen mit einem eigenen Antrag. Er referiert in zwei kurzen Absätzen, was CDU und SPD schon in ihren Koalitionsvertrag schrieben. Darin ist von einem Aus nicht die Rede, vielmehr wird die Einführung des Deutschlandtickets ebenso begrüßt wie die hälftige Aufteilung der Kosten zwischen Bund und Land.
Was die Zukunft betrifft, werden ohne Festlegung finanzielle Vorbehalte genannt: Wie die Finanzierung weitergeht, soll demnach geprüft werden, wenn die Abrechnung für das laufende Jahr vorliegt. Die Landeszuschüsse zum Ticket “möchten” die Regierungspartner zugunsten von Investitionen aber nicht erhöhen. Sie “wollen” die hessischen Flatrate-Tickets wie die für Schüler, Senioren oder Landesbedienstete sowie den “Hessenpass” beibehalten.
Die Verkehrsministerkonferenz müsse endlich einen Mechanismus zur Ermittlung des Preises des Deutschlandtickets festlegen, forderte Jörg Michael Müller, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, in der Debatte. Im Gegensatz zu den Grünen glaubt er, die Regierung unterstütze die Verkehrsverbünde sehr wohl ausreichend. Ihr Angebot sei gesichert, die Infrastruktur könne ausgebaut werden.
FDP verteidigt “Erfolgsmodell”
Die oppositionelle FDP-Landtagsfraktion schlug sich – was nicht alltäglich ist – auf die Seite der Grünen. Mit ihnen regieren die Liberalen ebenso wie die SPD in Berlin gemeinsam, sie stellen dort den Bundesverkehrsminister. Fraktionschef Stefan Naas beklagte, das Wiesbadener Regierungslager sei trotz des Drängens der Grünen ein unmissverständliches Bekenntnis zum Deutschlandticket schuldig geblieben.
Es sei falsch von der CDU, das Ticket in Frage zu stellen. Ein Aus sei keine Option. Denn es sei “ein eindeutiges Erfolgsmodell”. Der Preis könne aber nicht in Stein gemeißelt sein. Er müsse für die Kunden zwar bezahlbar bleiben. Es müsse aber auch genügend Geld für Investitionen da sein.
AfD kategorisch dagegen
Ungeachtet des ablehnenden Parteitagsbeschlusses der CDU: In der Debatte im Landtag stellte sich die AfD als einzige offen gegen das Deutschlandticket. Laut ihrem verkehrspolitischen Sprecher Klaus Gagel hat sich dieser Versuch, Bus und Bahn attraktiver zu machen, als völliger Fehlschlag erwiesen.
Auf das Ticket seien kaum Pendler umgestiegen, sondern vor allem ÖPNV-Kunden, die zuvor teurere Tickets gehabt hätten. Die AfD befürworte zwar eine einheitliche Tarifstruktur. “Ein qualitativ gutes Angebot ist aber wichtiger als steuerfinanzierte Billigtickets”, sagte Gagel.