Fr. Nov 22nd, 2024
Diana Reznychenko hat schon in der Ukraine in Mathe-Wettbewerben auf höchstem Niveau brilliert. Nun wird das 16 Jahre alte Ausnahmetalent an einer Marburger Schule gefördert. Dabei hätte es Diana fast noch nicht mal auf ein deutsches Gymnasium geschafft.

Da kann sich Herr Issing nur nachdenklich am Kopf kratzen. “Erstaunlich”, murmelt der Marburger Mathelehrer immer wieder. “Darauf muss man erst mal kommen.”

Vor ihm steht die 16 Jahre alte Schülerin Diana und malt ein komplexes geometrisches Bild an die Tafel: Kreise, Linien und Winkel zeichnet sie zielstrebig in unterschiedlichen Farben und erklärt leise, was sie da tut. Nach ein paar Minuten ist Diana zufrieden. Mithilfe eines sogenannten Sehnenvierecks hat sie bewiesen: Vier Punkte an der Tafel liegen auf einem Kreis und mehrere Winkel sind genau gleich.

Die hohe Kunst der Mathematik

“Dass sie auf diesen Lösungsweg gekommen ist, ist beachtlich”, meint Lehrer Issing und erklärt: Die hohe Kunst der Mathematik – das bedeutet nicht einfach nur gut zu rechnen, sondern zu argumentieren und zu begründen. Und das beherrsche Diana. Und zwar auf höchstem Niveau.

Die Ukrainerin Diana Reznychenko ist eine der besten Nachwuchs-Mathematikerinnen Europas. Seit zwei Jahren lebt sie mit ihrer Familie im Kreis Marburg-Biedenkopf und besucht die Marburger Martin-Luther-Schule. Im April wird sie nun an der der Europäischen Mädchen-Olympiade für Mathematik in Georgien teilnehmen, als eine von vier Schülerinnen aus Deutschland.

Talent früh entdeckt

Zahlen sind in Dianas Leben schon früh präsent. Der Vater ist Mathematiker, die Mutter Informatikerin. Dianas besonderes Talent fällt erstmals in der dritten Klasse auf. Ab dann nimmt die Schülerin in ihrer Heimat erfolgreich an zahlreichen Mathe-Wettbewerben teil.

Als Russland vor zwei Jahren die Ukraine angreift, steckt Diana mitten in den Vorbereitungen für die dortige Mathe-Olympiade. Aber nicht nur der Wettkampf muss zurückbleiben, als die Familie aus Kiew flieht: das Haus und viele Dinge natürlich, aber auch Verwandte, Freunde und Förderer.

Aber: Mathe nimmt Diana mit, dieses Wissen kann ihr niemand nehmen.

“Mathe kann man überall machen”

Genau das liebe sie so an der Mathematik: Sie habe sie immer dabei. “Mathe kann man überall machen und braucht fast nichts dafür”, sagt Diana. Man müsse noch nicht mal etwas auswendig lernen, sondern könne alles selbst mit dem Gehirn entwickeln. “Und Mathe hat keine Grenzen.”

“Wir sind sehr stolz auf sie und es macht ihr großen Spaß”, sagt ihre Mutter Lina Reznychenko. Und auch der Vater ist froh, dass seine Tochter in Deutschland nun weiter gefördert wird. “Mathe ist wie ein Sport”, meint Ramon Reznychenko. “Man muss immer in Form bleiben.”

Fast nicht aufs Gymnasium gekommen

Fast wäre Diana in Deutschland noch nicht mal aufs Gymnasium gekommen. Das Problem: die zweite Fremdsprache. Ukrainische Schülerinnen und Schüler lernen meistens nur Englisch in der Schule.

In Deutschland ist aber ab der siebten Klasse eine weitere Sprache Pflicht, in der Regel ist das Französisch, Latein oder Spanisch. Besonders ältere Schüler aus anderen Ländern erfüllen deshalb oft nicht die Voraussetzungen für deutsche Gymnasien. 

Schulleiterin Wyrola Biedebach erklärt: Dianas Familie habe sich an die Schule gewandt, weil Diana unbedingt aus Gymnasium wollte. “Wir haben dann beim Schulamt erreichen können, dass bei Diana als zweite Fremdsprache Russisch anerkannt wird.” Dies wird an der Martin-Luther-Schule zwar schon lange unterrichtet, aber normalerweise nur als dritte Fremdsprache.

Die Schulleiterin lobt außerdem: Diana sei mit wenigen Deutschkenntnissen gekommen, habe aber innerhalb kurzer Zeit das für das Gymnasium notwendige Sprachniveau B1 erreicht.

Weit ab des normalen Schulstoffs

In der Marburger Martin-Luther-Schule ist die Zehntklässlerin nun Teil des Begabtenförderprogramms, das Mathe- und Physiklehrer Issing leitet. “Diana ist eine absolute Ausnahmeerscheinung”, sagt Issing. Eine Schülerin wie sie habe er noch nie gehabt.

Bei einer Schülerin auf diesem Niveau sei es nicht mehr erste Aufgabe der Schule, ihr mathematisch Dinge beizubringen, meint Issing. Es gehe darum, ihr die bestmögliche Förderung zu vermitteln und ihr bei der Koordination ihrer Wettbewerbstermine zu helfen. “Diana ist beispielsweise Teil eines Mathezirkels an der Philipps-Universität.”

Der Lehrer erklärt: Was Diana mathematisch leiste, bewege sich weit ab des normalen Schulstoffs im Gymnasium. Neben Geometrie und Algebra beschäftige sie sich beispielsweise mit mathematischen Teilgebieten wie Kombinatorik, Zahlentheorie oder Spieltheorie. Issing räumt ein: Teilweise seien Dianas Aufgaben selbst ihm zu hoch.

Lösung in zehn Minuten

Ob er selbst auf den Trick mit dem Sehnenviereck gekommen wäre? Issing weiß es nicht. Da hätte er sich schon sehr lange und gründlich ans Mathematikstudium zurückerinnern müssen, sagt er lachend. “Und vielleicht wäre ich selbst dann nicht darauf gekommen.”

Diana sagt: Sie habe zehn Minuten gebraucht, um die Aufgabe zu lösen. Besonders schwer sei das nicht gewesen.

Diana Reznychenko will auch in Zukunft mit Mathematik zu tun haben. Am liebsten im Bereich Geometrie oder Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ob das in der Ukraine sein wird, weiß sie momentan nicht. Sie hofft es aber.