Fr. Nov 22nd, 2024
Eine Wanderausstellung in einem Flörsheimer Seniorenheim zeigt queeres Leben im Alter. Die Heimleitung hatte sich auf Kontroversen eingestellt – doch die Bewohner reagierten anders als erwartet.

Als die Bewohner des Seniorenheims Doreafamilie in Flörsheim (Main-Taunus) vor mehr als 60 oder 70 Jahren ihr beginnendes Sexualleben erkundeten, war gleichgeschlechtliche Liebe mehr als nur ein Tabu, über das nicht gesprochen wurde. Sex zwischen Männern war in der Bundesrepublik verboten – und wurde bestraft. Circa 50.000 Männer wurden zwischen 1950 und 1969 wegen Homosexualität verurteilt.

“Eine Bewohnerin sagte: Das sind doch die, die am 17.5. Geburtstag haben”, erinnert sich Susanne Wiederhold. Die Anspielung verstand die Leiterin des Sozialdienstes der Einrichtung erst auf Nachfrage. Die verklausulierte Zahlenkombination 1-7-5 steht für den Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch, in dem die Verfolgung schwuler und bisexueller Männer rechtlich geregelt wurde. Erst 1994 beschloss der Bundestag die endgültige Streichung des Paragraphen.

“Ich habe eine Enkeltochter, die steht auf Frauen”

Heute, Jahrzehnte später, ist queeres Leben sichtbarer als je zuvor. Auch im Eingangsbereich der Einrichtung in Flörsheim. Hier hängen Girlanden mit der Regenbogenfahne und der Transgender-Fahne mit den weißen, hellblauen und rosa Streifen – sie begleiten die Wanderausstellung “Lesbisches, schwules und trans* Leben im Alter”, die das Seniorenheim aktuell zeigt.

Auf Tafeln werden die Lebensgeschichten von sieben Menschen – Lesben, Schwulen und Trans*-Personen zwischen 64 und 85 Jahren – in ihren eigenen Worten erzählt. Geschaffen wurde die Ausstellung von der Hessischen Landesfachstelle LSBT* im Alter.

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„Jetzt lebe ich schon über 30 Jahre mit meiner Frau in Frankfurt am Main. Inzwischen sind wir als lesbisches Paar in einer Einrichtung angemeldet. Gut ist, wenn in den Einrichtungen die älteren Menschen ohne Angst ihre geschlechtliche und sexuelle Identität offen leben können. Denn sobald das Gesicht beim Thema verzogen wird oder sonst eine abwertende Reaktion kommt – dann trauen sich viele gar nicht mehr, etwas über sich zu sagen.“

Corry, 79 Jahre*Corry, 79 Jahre*

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Trotz jahrzehntelanger Tabuisierung habe die Ausstellung angeregt, über die Liebe zwischen Mann und Mann, Frau und Frau zu sprechen, sagt Sozialdienstleiterin Wiederhold. “Plötzlich erzählt mir eine Bewohnerin: Ich habe eine Enkeltochter, die steht auf Frauen.”

Heimleiter rechnete mit Gegenwind

Vor der Ausstellungseröffnung rechnete Heimleiter Stefan Nardelli im Interview mit der “Main-Spitze” noch mit Gegenwind. Eine spezifische Altersmilde der Bewohner habe er bei diesem Thema nicht bemerkt, er glaubte nicht an sonderlich viel Akzeptanz abseits der Heterosexualität. Doch tatsächlich, stellen Nardelli und Wiederhold fest, habe es keinen einzigen negativen Kommentar gegeben.