So. Dez 22nd, 2024

Der 8. März ist nur einmal im Jahr, feministischer Kampftag ist jedoch 365 Tage im Jahr. Denn das Patriarchat ist beständig. 12 Gründe, warum Feminismus und die damit verbundenen Anliegen aktueller denn je sind.

 „Gehe mit einem Typen nach Hause, schicke euch sicherheitshalber mal die Adresse“, „Ich teile kurz meinen Live-Standort, just in case!“, „Melde dich bitte, wenn du zu Hause angekommen bist!“ Nachrichten wie diese kennen wohl die meisten Flinta-Personen.

Begriffserklärung

Geschlechterspezifische Gewalt ist komplex und trifft neben cis Frauen auch Menschen außerhalb des binären Spektrums. Daher wird wahlweise auch von Flinta-Personen gesprochen. FLINTA steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, trans und agender Personen.


Das permanente Absichern im Falle einer möglichen Vergewaltigung oder anderer Gewalttaten ist traurige Routine im Leben einer Flinta-Person. Es könnte jederzeit passieren, diese Gewissheit hat sich eingebrannt. Daher sichert man sich ab: Standort und Adresse der Bekanntschaft wird mit Freund:innen geteilt – um im Zweifelsfall gefunden zu werden oder den Täter strafrechtlich verfolgen zu können. What a time to be a woman. 

Hinzu kommen vielfältigen Verteidigungsmethoden im Alltag. Der Schlüssel in der Hand als Waffe, das gespielte Telefonat, wenn man nachts allein durch die Straßen läuft, die Hand über dem Drink im Club. Hier haben wir übrigens aufgeschrieben, wie und wo sich Berlin verändern um weniger gefährlich für Frauen und weniger sexistisch zu sein. Kaum wahrnehmbar, längst routiniert, konstruieren Flinta-Personen ihr ganzes Leben um den Selbstschutz und die Verteidigung. Seit jeher gehört das zum Alltag, daher vergisst man schnell, wie sehr man das eigene Leben an die permanente Bedrohung anpasst. Wir sollten uns regelmäßig erinnern: Das ist nicht normal… 

2. Sexualisierte Gewalt als Selbstverständlichkeit

Der Slut Walk wurde zum ersten Mal 2011 veranstaltet, nachdem ein Polizist Opfern einer Vergewaltigung geraten hatte, sich nicht so schlampig anzuziehen. Foto: Imago/aal.photo

…leider jedoch notwendig. Frauen und queere Menschen sind de facto mit permanenter Gewalt konfrontiert. Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Expartner ermordet. 109 Femizide fanden allein im Jahr 2021 in Deutschland statt. Im Jahr 2022 wurden 150.000 Fälle von Gewalt in Partnerschaften angezeigt, die große Mehrheit der Opfer sind weiblich. Damit ist die Zahl in den letzten fünf Jahren gestiegen. Die Dunkelziffern liegen bei derartigen Statistiken meist signifikant höher. 

So ist auch eine andere häufig zitierte Statistik mit Skepsis zu betrachten: Jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben sexualisierte Gewalt. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu behaupten, dass es wohl eher jede Frau sein dürfte, die in ihrem Leben mehrfach sexualisierte Gewalt erlebt. Sie beginnt bei Berührungen, Übergriffen in Beziehungen, und endet bei Missbrauch und Vergewaltigung. Laut Dunkelfeldforschung wird etwa alle drei Minuten eine Frau in Deutschland vergewaltigt. 

Doch wie viele Vergewaltigungen wirklich stattfinden, ist kaum messbar. Denn in der Regel steht in Gerichtsprozessen Aussage gegen Aussage und die Täter werden freigesprochen. Einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zufolge, wird nur ein Prozent der Täter verurteilt – von den etwa fünf Prozent der Fälle, die überhaupt zur Anzeige gebracht werden.

Allzu häufig wird den Betroffenen nicht geglaubt oder wahlweise selbst die Schuld in die Schuhe geschoben. Die Frage, was das Vergewaltigungsopfer denn getragen hätte, gehört bis heute zum Standardrepertoire in der polizeilichen Vernehmung nach einem Missbrauch. 

Zudem wird sexualisierte Gewalt in den meisten Fällen durch den eigenen Partner, einen Verwandten oder einen Freund verübt. In 70 Prozent der Vergewaltigungen ist der Tatort die eigene Wohnung. So polemisch es klingt: Nicht einmal in ihren eigenen vier Wänden sind Frauen sicher. 


3. Gender Pay Gap

Frauen sind längst gleichberechtigt“, rief Herbert erbost, als der Weltfrauentag 2021 von Berlin zum Feiertag gemacht wurde. Geht es um feministische Anliegen, dauert es in der Regel nicht lang, bis jemand mit den formalen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte um die Ecke kommt. Frauen dürfen schließlich mittlerweile wählen und auch sonst alles, was Männer dürfen. Das stimmt leider nicht: In der Bezahlung sehen wir – ganz formal – noch immer eklatante Unterschiede. Sieben Prozent verdient eine Frau im Schnitt weniger als ein Mann. Rechnet man hinzu, dass die meisten Frauen im Schnitt in schlechter bezahlten Jobs arbeiten, liegt die Differenz bei 18 Prozent. 

Menschen, die schwanger werden können, übernehmen zudem noch immer einen überwiegenden Teil der Kindererziehung und scheiden damit mehrere Jahre aus dem Berufsleben aus. So kommt zusätzlich ein großer Unterschied in der Rentenleistung hinzu. Altersarmut ist unter Frauen häufiger. Jede dritte Frau mit einer Vollzeitstelle in Deutschland steuert auch nach 40 Arbeitsjahren auf eine Rente von weniger als 1000 Euro netto zu. Das muss diese Gleichberechtigung sein.


4. Genitalverstümmelung

Ein Thema, das gern vermieden wird. Verständlich, ist es doch an Grausamkeit kaum zu überbieten. Täglich werden jungen Mädchen überall auf der Welt die äußeren Geschlechtsorgane entfernt. Oft ohne Narkose und unter Bedingungen, die das Urinieren oder Menstruieren zu einer lebenslangen Qual machen.

UNICEF schätzt, dass weltweit über 200 Millionen genitalverstümmelte Mädchen und Frauen leben. Jedes Jahr sind weitere drei Millionen Mädchen in Gefahr, Opfer der Praxis zu werden. In Somalia sind etwa 98 Prozent der Frauen davon betroffen. Und auch in Deutschland leben schätzungsweise 50.000 Frauen, die Opfer einer Genitalverstümmelung geworden sind.


5. Doppelte Schönheitsstandards: Der weibliche Körper unter männlichen Augen

Feminismus: Ikonisches Foto: Journalistin, Autorin und Feministin Laurie Penny stößt auf einer Demonstration in Chicago mit einem Polizisten zusammen.
Ikonisches Foto: Journalistin, Autorin und Feministin Laurie Penny stößt auf einer Demonstration in Chicago mit einem Polizisten zusammen. Foto: Zuma Wire/Imago

Die britische Autorin Laurie Penny schrieb in ihrem Buch „Fleischmarkt“: „Wenn alle Frauen dieser Welt morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen.“ Die Produktpalette, mit denen wir unsere Körper an das aktuelle Ideal anpassen können, lässt sich kaum zählen. Zahlreiche Pflegeprodukte, die auf Frauen ausgelegt sind, kosten zudem mehr. Der einzige Unterschied ist meist, dass sie anders riechen und ihre Verpackung pink ist. Die neoliberale Wirtschaft hat den weiblichen Körper zu Ressource gemacht und schlachtet diese schonungslos aus.

Entsprechend beliebig wandeln sich die Schönheitsideale: In den 50er-Jahren sollten wir kurvig wie Marilyn Monroe sein, in den 90ern dünn wie Kate Moss, heute unterziehen wir uns lebensgefährlichen Brazilian Butt Lifs für einen Po á la Kim Kardashian. Nebenher hat Heidi Klum eine ganze Generation essgestörter Teenager großgezogen.

Das spiegelt sich auch im Alltag wider. Jede Frau, die schon einmal auf einer Demo, einem Konzert oder einer Party war, die ausschließlich für Flinta organisiert wurde, auf der also cis Männer verboten wurden, weiß, wie befreit es sich feiern lässt, wenn der hetero-männliche Blick einmal nicht auf dem eigenen Körper ruht. 

Die permanente Sexualisierung des weiblichen Körpers ist dabei noch gar nicht mitbedacht. Im Jahr 2023 erlauben die Berliner Bäderbetriebe erstmalig auch Frauen offiziell oben ohne zu baden. In sozialen Medien werden Frauennippel weiterhin zensiert, während Männer oben ohne posieren dürfen.

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